Oktober 2025

Wann weiß das Finanzamt genug? – BFH zur Steuerhinterziehung durch Unterlassen

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteil vom 14. Mai 2025 (VI R 14/22) sein Verständnis des Kenntnisbegriffs bei der Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) näher erläutert und damit neue Fragen aufgeworfen.


A. (Un-)Kenntnis der Finanzbehörden

Bislang ist nicht abschließend geklärt, ob und wie es sich auf die Steuerhinterziehung durch Unterlassen auswirkt, wenn die Finanzbehörden – gleich aus welcher Quelle – Kenntnis von den besteuerungserheblichen Tatsachen haben.

  • Einerseits wird vertreten, der Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO sei kenntnisunabhängig bereits dann verwirklicht, wenn Steuererklärungen pflichtwidrig nicht oder nicht rechtzeitig abgegeben werden. Die Kenntnis könne allenfalls im Rahmen der Kausalität berücksichtigt werden.

  • Andererseits ist die Ansicht verbreitet, dass die Unkenntnis der Finanzbehörden ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal sei.

Der BFH hat diesen Streitpunkt in seinem Urteil ausdrücklich offengelassen, sich aber dennoch näher mit der (Un-)Kenntnis der Finanzbehörden iRd § 370 AO befasst. Diese ist mit Fragen nach der maßgeblichen Person, der Kenntnisgewinnung und deren Umfang sowie Qualität verbunden.


B. Einordnung des BFH

Abzustellen ist nach dem BFH auf die Personen, die innerhalb der zuständigen Finanzbehörde für die Bearbeitung des Steuerfalls berufen sind bzw. die den Steuerbescheid erlassen haben. Es kommt daher auf den zuständigen (Veranlagungs-)Sachbearbeiter an. Teils vertretenen Ansichten, wonach auf Sachgebietsleiter, Finanzamtsvorsteher oder die jeweilige Finanzbehörde in ihrer organisatorischen Gesamtheit abzustellen sei, wird damit eine Absage erteilt. 

Den Gegenstand der Kenntnis beschreibt der BFH normativ. Auf die individuelle Kenntnis des jeweiligen Sachbearbeiters kommt es nicht an. Als bekannt gelten:

  • Physische und elektronische Akteninhalte

  • Informationen, die von anderen (Dienst-)Stellen über ein elektronisches Informationssystem zur Verfügung gestellt werden.

Nicht als bekannt gelten demgegenüber elektronische Daten, die nicht automatisch zur Akte gelangen und lediglich auf abrufbaren Datenspeichern der Finanzbehörde liegen. Das soll auch dann gelten, wenn solche Daten mit der jeweiligen Steuernummer verknüpft sind.

 

C. Bewertung

Die Entscheidung wirft eine Reihe von Fragen auf:

  • Warum werden Informationen, die von anderen Dienststellen übermittelt werden, anders behandelt als solche die „nur“ in abrufbaren Datenspeichern liegen?

  • Was genau sind „abrufbare Datenspeicher“?

  • Sind übermittelte Daten anderer Dienststellen, zB aus einer gesonderten Feststellung, automatisch Aktengegenstand? Nicht aber etwa elektronische Lohnsteueranmeldungen des Arbeitgebers, der gerade keine „Dienststelle“ darstellt?

  • Kann das Finanzamt durch bloße Untätigkeit den Kenntniseintritt von abrufbaren Daten verzögern oder verhindern?

Wenn es für die Kenntnis auf den Akteninhalt ankommt, ist zudem zentral, wann und wie Daten zur Akte gelangen. Eine gesetzliche Regelung gibt es hierzu nicht. Hängt die Strafbarkeit damit davon ab, wie der individuelle Sachbearbeiter seine Akten führt, und ob ein ordentlicher oder ein nachlässiger Behördenmitarbeiter zuständig ist? Das kann eigentlich nicht sein.

 

D. Fazit

Die Entscheidung hat nicht zu mehr Klarheit bei der Frage geführt, wann von Kenntnis der Finanzbehörden auszugehen ist und wie sich diese auswirkt. Es dürfte daher weiterhin schwierig bleiben, den Finanzbehörden Kenntnis nachzuweisen. Dennoch kann eine strafbare Steuerhinterziehung ausscheiden. Denn wenn der Steuerpflichtige sich darauf verlässt, dass die maßgeblichen besteuerungserheblichen Informationen der zuständigen Stelle bekannt waren, fehlt es an einem vorsätzlichen Handeln.