Oktober 2025

BFH kippt Richtsatzsammlung

Von Martina Sunde

Im Urteil vom 18.06.2025 (Az. X R 19/21) stellt der BFH fest, dass erhebliche Zweifel daran bestehen, ob die amtliche Richtsatzsammlung in ihrer bisherigen Form eine geeignete Grundlage für einen äußeren Betriebsvergleich darstellt. Der problematischen Praxis der Finanzverwaltung und vieler Finanzgerichte, Schätzungen allein mit dem Hinweis auf die Richtsatzsammlung zu begründen, wird damit ein Ende gesetzt.


Formell ordnungswidrige Buchführung

Anlass für das Urteil war ein Rechtsstreit über die Umsätze einer Diskothek. Deren Buchführung war als formell ordnungswidrig verworfen worden. In dem Betrieb waren mehrere offene Ladenkassen vorhanden, deren Kassensturzfähigkeit nicht gegeben war. Voraussetzung dafür wäre gewesen, dass die Entwicklung des Kassenbestandes anhand der Aufzeichnungen zweifelsfrei rekonstruierbar ist. Dabei müssen die Kassenberichte so beschaffen sein, dass ein Buchsachverständiger in der Lage ist, zumindest am Beginn und am Ende jedes Geschäftstages – und bei Einzelaufzeichnung der Bareinnahmen auch jederzeit im Laufe des Geschäftstages – den durch Kassensturz festgestellten Ist-Bestand anhand der Kassenaufzeichnungen zu überprüfen. Diese Voraussetzungen waren jedoch im Entscheidungsfall nicht erfüllt.


Beitrittsaufforderung an BMF

Dass der BFH das Verfahren zum Anlass nehmen würde, die Richtsatzsammlung einer grundsätzlichen Prüfung zu unterziehen, hatte sich bereits im Vorfeld angekündigt, als er das BMF zum Beitritt aufforderte (Beschluss vom 14.12.2022), um zu der Frage Stellung zu nehmen, ob und unter welchen Voraussetzungen ein äußerer Betriebsvergleich in Gestalt einer Schätzung anhand der Richtsatzsammlung zulässig ist.


Daten statistisch nicht repräsentativ

Das Ergebnis hat den BFH nicht überzeugt. Er sah sich veranlasst, seine Einwände im Urteil auszuführen, obwohl dies nicht entscheidungserheblich war. Folgende Punkte wurden von den Richtern beanstandet:

  • Die Datengrundlage der Richtsatzsammlung ist statistisch nicht repräsentativ. Zum einen, da keine zufällige Auswahl der Betriebe erfolgt, sondern ausschlaggebend ist, ob die Betriebe nach Maßgabe von § 193 AO als „prüfungswürdig“ angesehen werden. Zum anderen, da Verlustbetriebe von vornherein von der Datengrundlage ausgeschlossen werden sowie die 10% der Betriebe mit den höchsten und niedrigsten Rohgewinnaufschlagsätzen außer Betracht bleiben.

  • In der Betriebsprüfungspraxis und der instanzgerichtlichen Praxis bestehen im Umgang mit der Richtsatzsammlung häufig Begründungsmängel im Hinblick auf die Wahl des konkreten Richtsatzes innerhalb der für die jeweilige Gewerbeklasse angegebenen Spanne.

 

Innerer Betriebsvergleich vorrangig

Daneben lassen sich dem Urteil noch weitere wichtige Vorgaben entnehmen:

  • Da kaum ein Betrieb dem anderen gleicht, haftet dem äußeren Betriebsvergleich ein starkes Unsicherheitsmoment an. Der innere Betriebsvergleich ist daher die zuverlässigere Schätzungsmethode und vorrangig anzuwenden.

  • Die Finanzverwaltung darf zur Ermittlung von Vergleichsdaten Datenbanken aufbauen und verwenden, muss diese den Gerichten aber erklären können, damit diese beurteilen können, ob die Mindestanforderungen an die Qualität der Datenerfassung erfüllt sind. Ist die Finanzverwaltung dazu nicht in der Lage, geht dies zu Lasten des Beweiswertes der Vergleichsdaten.

 

Fazit

Nach dem BFH-Urteil beschränkt sich der Anwendungsbereich der Richtsatzschätzung nur noch auf Ausnahmefälle, d.h. Betriebe, bei denen die vorhandenen Aufzeichnungen derart lückenhaft oder inhaltlich zweifelhaft sind, dass sie bei zumutbarem Aufwand noch als Grundlage für einen – auch mit Restunsicherheiten behafteten – inneren Betriebsvergleich ausscheiden.